Napoleons Flucht aus Lindenau – Szene aus der Zinnfigurenausstellung im Torhaus Dölitz.
Leipzig vor 200 Jahren
Augenzeugen schildern die Wirren der Völkerschlacht
Vor der Schlacht
Immer enger zog sich der Ring der Armeen um die Stadt. Die verbündeten Truppen und die napoleonischen – insgesamt rund eine halbe Million Soldaten mit zehntausenden von Pferden – sollten in den Oktobertagen 1813 hier über das Schicksal Europas entscheiden. Die etwa 30 000 Einwohner der Stadt Leipzig sowie der umliegenden Dörfer sahen es mit Bangen, mussten sie doch erleben, wie die anrückenden Soldatenmassen gleich einem Heuschreckenschwarm in der fruchtbaren Leipziger Ebene alles Essbare vertilgten. Doch sie ahnten: Das war nur das Vorspiel.
Es war Krieg in Sachsen
Anfang Mai hatte Napoleon unweit der Stadt, bei Großgörschen, nochmals einen Schlachtensieg errungen – und Sachsen wieder zum festen Verbündeten gemacht. Seitdem wurde Leipzigs Lage zunehmend schwieriger, Streifkorps im Hinterland störten die Versorgung, die Zahl der Lazarette mit zu versorgenden Verwundeten nahm ständig zu. Und es stieg ebenso der Unmut der Menschen, die antinapoleonischen Stimmen mehrten sich, so dass Napoleon am 20. Juni den Belagerungszustand über die Stadt verhängte. Waffenbesitz war nun bei Todesstrafe verboten. Fern waren jene Tage im Jahr 1807, als Leipzigs Bürgerschaft Kaiser Napoleon verehrte, hatte dieser doch im Frieden von Tilsit Sachsen zum Königreich erhoben und mit dem Herzogtum Warschau verbunden. Als der Kaiser im Juli 1807 Leipzig auf der Durchreise passierte, erwarteten ihn hier eine gewaltige Triumphpforte vor dem Grimmaischen Tor sowie die junge Kaufmannschaft, um als Ehrengarde den Sieger von Jena zu begrüßen. Der Senat der Universität Leipzig hatte zudem bestimmt, die zum Gürtel und Schwert des Orion gehörenden Sterne künftig Napoleonsterne zu nennen. Johann Gottfried Seume spottete: Eine große Menge Nachteulen hätten Bonaparte in den Orion hinein geflickt. Es blieb nicht beim Jubel. Schwierigkeiten in Wirtschaft und Handel, hervorgerufen durch die Kontinentalsperre, die Leipzig den wichtigen Handel mit England verbot, trafen die Messestadt empfindlich; ebenso die Zahlungen für die napoleonische Armee. Aus der anfänglichen Begeisterung für Napoleon wurde Enttäuschung, später dann völlige Ablehnung.
Sonnabend, 16. Oktober 1813
Augenzeugen haben überliefert, wie Leipzigs Einwohner die Schlachttage erlebten. Es begann mit der Ruhe vor dem Sturm am 15. Oktober: „Nie war es in der Stadt seit vielen Wochen so still als am Abend desselben“, notierte der Leipziger Kaufmann und Schriftsteller Ludwig Hussell. Doch am 16. Oktober brach die Schlacht los. „Man glaubte, daß die kampfdürstenden Massen ihre Streitbegierde so lange zügeln würden, bis sich der Nebel verzogen haben würde. Aber schon nach 6 Uhr begann der Geschützdonner von Liebertwolkwitz her zu rollen.“ Der Kampf dauerte den ganzen Tag: „Nach allen Richtungen sah man brennende Dörfer und man konnte aus der Menge derselben schließen, wie verheerend der heiße Tag gewesen sein mußte.“
Schlacht um Liebertwolkwitz – Szene aus der Zinnfigurenausstellung im Torhaus Dölitz.
Sonntag, 17. Oktober 1813
„Der Zustand der Stadt ist schrecklich“, notierte der Leipziger Musikschriftsteller und Komponist Johann Friedrich Rochlitz an diesem Tag. „Ich habe Szenen gesehen, für die ich sonst jeden, der sie erzählt hätte, aus Menschengefühl der Täuschung oder Täuscherei ins Gesicht hätte bezichtigen müssen.“ Jede Familie, arm oder reich, habe bei angedrohter härtester Strafe abliefern müssen, was eine Armee brauchen kann: Betten, Küchengeräte, Mundvorrat, Äxte, Spaten u. a. „Alles, was dazu fähig ist, muß hinaus, um zu schanzen. Die Tore und Straßen der Vorstädte … werden gewissermaßen befestigt und vom Militär allein besetzt. Sie sollen bis zum letzten Mann verteidigt werden … Welch ein Tag wird uns morgen bevorstehn!“
Montag, 18. Oktober 1813
E. C. Härtel, Neffe des Musikverlegers Härtel, bewachte an jenem Tag das Vorderhaus des Verlages, um Plünderer abzuwehren. Nachmittags trieb ihn die Neugier, die Haustür zu öffnen, um einmal zu sehen, was auf der Straße vorging; „kaum war ich aber hinausgetreten, als eine Granate einen Teil vom Firste des Hauses abschlug … und die Steine an das gegenüberstehende Gewandhaus schleuderte.“ Besonders litten die Bewohner der Dörfer um Leipzig, wo die Schlacht tobte. Auguste Vater, Tochter des Seifertshainer Pfarrers Karl Gottlieb Vater, erlebte die Plünderung des Pfarrhauses: „Es wurde alles mitgenommen, was nur irgendeinen Gebrauch zuließ, alles vollends erbrochen und ausgeräumt, was sich etwa noch in einem versteckten Winkel fand.“
Dienstag, 19. Oktober 1813
„So schrecklich die Tage waren, um so fürchterlicher waren die Nächte“, berichtete der Totengräber des Johannisfriedhofes Johann Daniel Ahlemann. „Am schrecklichsten war die Nacht vom 18. zum 19. Oktober. Ein unabsehbarer Zug von Wagen, Geschütz, Menschen und Vieh drängte sich mit gräßlichem Getöse, Fluchen und Gebrüll zum Kohlgärtnertor herein, während man ringsum Tausende von Wachtfeuern und die Feuersäulen brennender Dörfer in die dunkle Nacht aufflammen sah; auch die Gefangenen auf dem Gottesacker waren die ganze Nacht sehr unruhig, und ich sah mit jedem Augenblick meinem Tod entgegen.“ Am Abend des letzten Schlachttages fand Ahlemann sein Haus ruiniert: „Alles, was ich im Hause zurückgelassen hatte, war zerstört, fast alle Fenster zerschlagen, die Dielen waren mit Blut und Unflat besudelt, die Decken und Wände von Kugeln zerlöchert und mehrere Kanonenkugeln durch die Wände gegangen.“
Nach der Schlacht
Ferdinand Heinrich Grautoff, 1813 als Student der Theologie in Leipzig, ging am ersten Tag nach der Schlacht bis ans Ranstädter Tor und die Notbrücke, die aus dem Richterschen Garten über die Elster geschlagen worden war: „Der schwarze moorige Fluß war wie gedämmt von Leichen der Menschen und Pferde. Längs beiden Rändern des schmalen Flusses hoben sich bald über das Wasser viele tausend Arme, die zum Teil schon mit den Händen in das Gras des hohen Ufers faßten … Es kann das Ufer der Beresina keinen furchtbareren Anblick geboten haben als die Ufer der Elster …“
Als größten Feind in den ersten Tagen nach der Schlacht nannte Grautoff den Hunger. Am meisten litten die Kranken und Gefangenen, viele starben den Hungertod. „Und das mitten in dem gesegneten Sachsen“, beklagte der Student, „auf den Fluren, die jüngst noch die reichste
Ernte boten, in den Straßen und vor den Toren der glücklichen Stadt, wo sonst nur Fülle und Wohlleben herrschte.“
Der Arzt Prof. Johann Christian Reil beschrieb das Leipziger Lazarettwesen: „In Leipzig fand ich ohngefähr 20 000 verwundete und kranke Krieger von allen Nationen. Die zügelloseste Phantasie ist nicht imstande, sich ein Bild des Jammers in so grellen Farben auszumalen, als ich es hier in der Wirklichkeit vor mir fand.“ Eine Typhusepidemie, der im November 1813 auch Prof. Reil erlag, griff auf die Zivilbevölkerung über – etwa 10 000 Soldaten in den Lazaretten starben, und es starb jeder zehnte Einwohner Leipzigs!
Eine besetzte Stadt
Ein Bild Leipziger Zustände jener Tage geben auch die Bekanntmachungen des am 21. Oktober eingesetzten russischen Stadtkommandanten Victor Prendel. Gleich am 26. Oktober forderte er die Hausbesitzer auf, ihm binnen vierundzwanzig Stunden anzuzeigen, welche Einquartierung von welcher Nation, krank oder gesund, sich bei ihnen befindet. Vor allem aber kümmerte sich Prendel um den Gesundheitszustand der Stadt. Am 29. Oktober forderte er die Bewohner dringend auf, sowohl tote Menschen als auch verendete Pferde schleunigst zu begraben. Auch um die Reinlichkeit in der Stadt sorgte er sich: „Die Unreinlichkeit in denen Straßen und auf denen Plätzen will noch nicht abnehmen“ mahnte er. „Die Misthaufen liegen aller Orten herum. Ich frage nicht um die Ursache, sondern, vor welchem Hause sich nach 24 Stunden eine Unreinlichkeit finden wird, bezahlt der Hauseigenthümer in die Spitalscasse 10 Thaler Courant …“ Prendel griff durch und brachte es mit seiner originellen Art sogar zu Beliebtheit bei den Leipzigern. Während sich Leipzig und seine Bürger mühsam von den Drangsalen des Krieges erholten, beschloss der Wiener Kongress 1815 die Teilung Sachsens. Bis zum Schluss stritt man noch um die Messestadt Leipzig, die nach dem Willen Preußens preußisch werden sollte. Erst nach zähen Verhandlungen durfte Leipzig doch sächsisch bleiben und rückte in die äußerste Nordwestecke des Landes.
                                                                                                                                                                     Dagmar Schäfer

 

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